Bis zur Legalisierung von Schwangerschafts-abbrüchen ist es noch ein weiter Weg. Umso wichtiger ist es auf das Wording zu achten.
Es war eine gute Nachricht, die Mitte Januar aus dem Bundesjustizministerium kam: Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs soll endlich abgeschafft werden. Dass die Ampel sich einig sein würde, das Informationsverbot für Schwangerschaftsabbrüche zu streichen, war gleichwohl erwartet worden. Schließlich hatten alle jetzigen Koalitionspartner schon in der vergangenen Legislatur eigene Gesetzentwürfe zur Abschaffung vorgelegt.
Erst im Juni allerdings wird der 219a, so ist nun zu hören, wohl wirklich gekippt. Gesetze brauchen ihre Zeit, auch die Abschaffung von Gesetzen braucht Zeit – allein schon, weil formale Schritte wie Ressortabstimmungen und Lesungen im Plenum eingehalten werden müssen. Kaum jedoch ist in diesem Fall damit zu rechnen, dass die Abschaffung doch noch einmal in Gefahr sein könnte.
Das eine Gefühl zum Abbruch gibt es nicht
Nichtsdestotrotz klaffen die Herangehensweisen an das Thema innerhalb der Koalition deutlich auseinander. Das wurde schon an den Formulierungen deutlich, mit denen Justizminister Marco Buschmann (FDP), dem die Federführung in Sachen 219a obliegt, seinen Gesetzentwurf präsentierte. Frauen seien „in einer schwierigen Gewissensentscheidung gefangen“, sagte er – dass ein Abbruch durchaus eine Erleichterung für ungewollt Schwangere sein kann, scheint noch immer undenkbar. Und dass die Gefühle, die mit einer ungewollten Schwangerschaft einhergehen, in jedem Fall individuell sind, ist im Justizministerium offenbar ebenfalls noch nicht angekommen.
Anders die Ideologie der Selbstbestimmungsgegner:innen. „Anpreisende oder gar anstössige Werbung“ für Abbrüche sei weiter unmöglich, beschwichtigte der Justizminister in deren Richtung – als ob Schwangere auf die Idee kämen, einen Abbruch machen zu lassen, weil er bei der Ärztin um die Ecke für 3,99 Euro im Angebot ist. Und niemand, so Buschmann, müsse „die Sorge haben, dass ungeborenes Leben nicht weiter geschützt“ wäre. Denn der Schwangerschaftsabbruch an sich – Erleichterung! – sei ja nach wie vor strafbar.
Zwar leitet Buschmann also die Streichung des Paragrafen 219a in die Wege. Von einer progressiven Position im Hinblick auf reproduktive Rechte aber ist er weit entfernt. SPD und Grüne sind nun in der Pflicht, daran zu arbeiten, das entsprechende Wording des Gesetzentwurfs zu verändern. Denn es ist zwar dringend nötig, den Paragrafen 219a zu streichen. Doch der Gesetzentwurf gibt den Ton für weiteres vor: Die Art und Weise, wie sich die Koalition auf das viel schlimmere Übel zubewegt, den Paragrafen 218.
Zwar steht die Abschaffung auch dieses Paragrafen, der im Strafgesetzbuch in einer Reihe mit Mord und Totschlag steht und gebärfähige Menschen hierzulande seit mehr als 150 Jahren potentiell kriminalisiert, sowohl bei Grünen als auch bei der SPD im Programm. Im Koalitionsvertrag allerdings ist davon nichts zu lesen. Lediglich eine Kommission soll „prüfen“, ob es möglich ist, Abbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs zu regeln.
Die Klientelpolitik der FDP
Warum nur reichte es mit einer satten Zweidrittelmehrheit innerhalb der Regierungsparteien nicht für mehr als eine bloße Kommission mit offenem Ausgang? Klar jedenfalls war von vornherein: Bei der FDP war in Sachen Frauenrechte noch nie viel zu holen. Mit Händen und Füßen stemmt sich die Partei allein schon gegen die Quote, im Bundestag ist sie mit weniger als einem Viertel Frauen vertreten – und die ihr nahestehenden „liberalen Männer“, die antifeministische Positionen vertreten, gibt es ja auch noch. Darüber kann auch das Engagement der FDP für die Abschaffung des § 219a nicht hinwegtäuschen. Da nämlich geht es der Partei um die Berufsfreiheit von Ärzt:innen – um Klientelpolitik also letztlich.
Ganz anders beim § 218. Dieser „Kompromiss“ soll in seiner Grundkonstruktion nicht angetastet werden, sagt Stephan Thomae, Katholik und parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag. „Ethisch wie politisch untragbar“, findet die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr eine Abschaffung. Und Bundesjustizminister Marco Buschmann? Da lassen die Formulierungen zum § 219a nur zwei Möglichkeiten zu. Entweder er reproduziert die Klischees, die eben gern gebraucht werden („in schwieriger Gewissensentscheidung gefangen“) – und weiß also nicht, wovon er spricht. Oder er wendet sich offensiv gegen eine Legalisierung von Abbrüchen. Wahrscheinlich ist letzteres.
Hoher politischer Preis für die Abschaffung von § 218
Was aber warf in den Koalitionsverhandlungen demgegenüber die SDP in die Waagschale, die die Abschaffung des § 218 doch im Programm verankert hat? Nunja. Jenseits der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, denen dieser Programmpunkt zu verdanken ist, ist das Interesse der SPD überschaubar, für die weibliche Nischenklientel in die Bresche zu springen. Zwar ist es wohlfeil, Forderungen ins eigene Programm aufzunehmen, aber nicht dafür zu kämpfen. Aus SPD-Perspektive aber ist es nachvollziehbar: Der politische Preis, den § 218 abzuschaffen, wäre hoch.
Von Seiten außerparlamentarischer Selbstbestimmungsgegner:innen, auch für Union und AfD wäre es leicht, mit populistischen Horrorszenarien und verkürzten Scheinargumenten Stimmung dagegen zu machen, „Leben“ nicht mehr schützen zu wollen – ungeachtet der Tatsache, dass legale und sichere Abbrüche Leben retten. Die Kirchen würden sich einschalten, der mediale Diskurs würde von Medien wie Bild und Welt provoziert. Und auch innerhalb des eigenen Wähler:innenklientels ist die Stimmung keineswegs eindeutig.
Das allerdings gilt ebenso für die Grünen. Trotzdem ist es deren Verhandler:innengruppe zu verdanken, dass nun wenigstens die geplante Kommission ein Türchen offen hält, die politische Debatte über den § 218 in dieser Legislatur zu führen. Um die FDP dazu zu bringen, der Kommission zuzustimmen, setzten die Grünen auf deren Willen, Eizellspende und Leihmutterschaft zu legalisieren. Daneben nämlich, dass geprüft wird, ob der § 218 legalisiert werden kann, wird auf Druck der FDP nun auch geprüft, ob Eizellspende und Leihmutterschaft legalisiert werden können. Jenseits aller ethisch-moralischen Argumente in dieser Hinsicht, die komplex sind: Der FDP geht es dabei in erster Linie um ökonomische Interessen von Reproduktionsmediziner:innen. Hallo, Klientelpolitik.
Beispiel Kanada: Es geht straffrei
Die Kommission immerhin eröffnet die Möglichkeit, die Abschaffung des Paragrafen 219a nicht zum Schlusspunkt der Debatte um Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland werden zu lassen. Im Gegenteil: Sie muss der Auftakt sein. Sowohl Bewegung als auch gesellschaftliche Linke haben nun ein Zeitfenster, den Schwung zu nutzen, die Kommission zu pushen und eng zu begleiten. Wann sie kommt, wie sie besetzt, wie sie medial begleitet wird: all das wird großen Einfluss auf die gesellschaftliche und politische Stimmung in punkto § 218 haben.
Letztlich zeigen Länder wie Kanada längst, dass es nicht nur möglich ist, Abbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs zu regeln – sondern dass es wunderbar funktioniert. Seit mehr als 30 Jahren behandelt das Land Abbrüche als Teil der Gesundheitsversorgung, gebärfähige Menschen werden nicht mehr kriminalisiert, das Tabu ist gebrochen. Ermöglichen würde das hierzulande unter anderem, dass Abbrüche Kassenleistung werden könnten, dass sie in der ärztlichen Ausbildung gelehrt werden, dass es auf Dauer wieder genügend Ärzt:innen gäbe, die Abbrüche machen – und dass gebärfähige Menschen endlich zu ihrem Recht kommen, über ihren Körper selbst zu entscheiden. Dafür braucht es die Kommission, dafür braucht es die Legalisierung. Die Chance ist da, diesen Weg zu ebnen – jetzt.